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Mit dem Alter kommen neue Stärken
In einer der umfangreichsten Studien beobachten amerikanische Wissenschaftler um die Psychologin Sherry L. Willis seit über fünfzig Jahren mehr als 6.000 Teilnehmer. Alle sieben Jahre untersuchen sie deren geistige Fitness. Das Ergebnis der Seattle Longitudinal Study überraschte selbst die Forscher: Nur in zwei von sechs Testkategorien – bei der Reaktionsschnelligkeit und der Rechenfähigkeit – schnitten die älteren Jahrgänge schlechter ab. Ansonsten nahmen die Fähigkeiten mit dem Alter zu und hatten ihren Höhepunkt zwischen 55 und 60 Jahren. Die reiferen Probanden fanden beispielsweise mehr Synonyme für bestimmte Begriffe und taten sich leichter dabei, Informationen zu deuten und Zusammenhänge zu erkennen.
In der Lebensmitte entwickelt das Gehirn offenbar auch neue Stärken.
Der Psychologe Arthur F. Kramer von der Universität Illinois konnte das an Fluglotsen zeigen. Jüngere Lotsen reagierten in Routinesituationen schneller. Die Älteren dagegen waren im Vorteil, wenn Unvorhergesehenes passierte oder die Informationen vieldeutiger wurden.
Ihre bessere Reaktion in komplexen Situationen verdanken ältere Fluglotsen wahrscheinlich ihrer langjährigen Expertise, schreiben die Wissenschaftler im Journal of Experimental Psychology. Ähnliche Experimente gibt es mit Sekretärinnen. Während jüngere Bürodamen schneller tippen, ahnen ältere Kolleginnen aus vorherigen Diktiersitzungen, welcher Text als Nächstes folgt, und können so die fehlende Schreibgeschwindigkeit kompensieren.
"Die erfahrenen Männer und Frauen nahmen im komplexen System der Nahrungsbeschaffung wahrscheinlich eine Schlüsselrolle ein", schreibt der Biologe David Bainbridge in seiner Naturgeschichte des mittleren Alters. Tiere, die ähnlich alt werden wie der Mensch, zeigen ähnliche Muster. Bei den Elefanten sind es die erfahrenen Tiere, welche die Herde in Zeiten der Trockenheit zu den wenig bekannten Wasserstellen führen.
Tatsächlich scheint um das fünfzigste Lebensjahr herum ein Umschlagpunkt zu liegen.
Wer mit fünfzig beginnt, regelmäßig Sport zu treiben, ist, statistisch gesehen, für die Gebrechen des Alters ebenso gut gerüstet wie jemand, der schon immer durchs Leben joggte. Wer dagegen erst mit sechzig die Bewegung entdeckt, kann die Folgen der immobilen Jahre nicht mehr ausgleichen. "Unser Leben im Alter wird in den mittleren Jahren entschieden", sagt der Biologe Martin Korte.
Die Ratschläge, die er in seinem Buch Jung im Kopf formuliert, sind ganz einfach:
Ernährt euch gesund, bewegt euch regelmäßig, und geht unter Menschen.
Vor allem: Kaum eine andere Aktivität fordert – durch Reden und Zuhören sowie das permanente Beobachten von sich selbst und anderen – so viele Hirnregionen gleichzeitig wie ein normales Gespräch.
Freundschaften und intensiver Austausch mit Menschen sind das beste Hirnjogging.
Das Kurzzeitgedächtnis schwächelt, die Konzentration lässt nach. Aber das Gehirn zeigt auch neue Stärken: Es verknüpft sehr schnell Informationen und trennt Wichtiges von Unwichtigem.
Quelle Martin Spiewak aus der ZEIT ONLINE, Feb. 2014
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